Neue Machine-Learning-Modelle revolutionieren die Vorhersage von Trainerwechseln im Profifußball
Wann fällt die Entscheidung gegen einen Trainer? Diese Frage beschäftigt Fans, Medien und Vereinsvorstände gleichermaßen. Während das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) kürzlich ein mathematisches Modell zur Berechnung von Trainer-Entlassungen vorstellte, gehen internationale Forschungsteams nun einen Schritt weiter: Mit künstlicher Intelligenz und Machine Learning sollen Trainerwechsel nicht nur erklärt, sondern präzise vorhergesagt werden.
Vom mathematischen Modell zur KI-gestützten Prognose
Das KIT-Forschungsteam um Sportpsychologe Darko Jekauc hat mit seinem Phi-basierten Modell bereits gezeigt, dass Trainerentlassungen berechenbar sind. Die Karlsruher Wissenschaftler nutzen dabei den goldenen Schnitt zur Gewichtung aktueller Spielergebnisse und kombinieren diese mit Erwartungswerten aus Marktwerten, Wettquoten und historischen Tabellenplatzierungen.
Doch KI-Systeme können deutlich mehr Variablen gleichzeitig verarbeiten und komplexere Muster erkennen. Während das KIT-Modell auf etwa fünf bis sieben Kernfaktoren setzt, arbeiten moderne Machine-Learning-Algorithmen mit hunderten von Datenpunkten pro Verein und Spieltag.
Die Formel hinter der KI-Prognose
Ein typisches Vorhersagemodell für Trainer-Entlassungen basiert auf einem gewichteten Scoring-System:
Entlassungswahrscheinlichkeit = f(Leistungsindex, Erwartungsdelta, Momentum-Faktor, externe Variablen)
Die einzelnen Komponenten setzen sich wie folgt zusammen:
Leistungsindex (Performance Score)
Der Leistungsindex berechnet die aktuelle Teamperformance im Verhältnis zu den Erwartungen. Ähnlich wie beim KIT-Modell fließen hier die jüngsten Ergebnisse mit abnehmender Gewichtung ein:
Leistungsindex = Σ (Ergebnis_i × φ^(n-i))
Dabei steht φ (Phi ≈ 1,618) für den goldenen Schnitt, der auch im Karlsruher Modell Verwendung findet. Das letzte Spiel wird am stärksten gewichtet, ältere Ergebnisse verlieren exponentiell an Bedeutung.
Erwartungsdelta
Das Erwartungsdelta misst die Abweichung zwischen tatsächlicher und erwarteter Leistung:
Erwartungsdelta = (Erwartete_Punkte - Tatsächliche_Punkte) / Erwartete_Punkte
Die erwarteten Punkte ergeben sich aus Marktwert des Kaders, Saisonzielen und historischer Performance.
Momentum-Faktor
Der Momentum-Faktor erfasst die Dynamik der Leistungsentwicklung über einen definierten Zeitraum. Ein negatives Momentum verstärkt die Entlassungswahrscheinlichkeit überproportional.
Machine Learning erweitert das Modell
KI-Algorithmen gehen über diese Grundformel hinaus und integrieren zusätzliche Datenpunkte, die für menschliche Analysten schwer zu quantifizieren sind:
Sentiment-Analyse der Medienberichterstattung: Natural Language Processing (NLP) wertet Presseartikel, Social-Media-Beiträge und Fan-Foren aus, um die öffentliche Stimmung gegenüber dem Trainer zu messen.
Spieler-Performance-Metriken: Expected Goals (xG), Pressing-Intensität, Passgenauigkeit und andere fortgeschrittene Statistiken fließen in die Bewertung ein.
Historische Vereinsdaten: Wie hat der Verein in der Vergangenheit auf ähnliche Situationen reagiert? Manche Clubs sind bekannt für schnelle Trainerwechsel, andere geben Trainern mehr Zeit.
Finanzielle Faktoren: Vertragskonditionen, Abfindungssummen und verfügbares Budget für einen Nachfolger beeinflussen die Entscheidungsfindung.
Saisonzeitpunkt: Entlassungen folgen oft einem zeitlichen Muster – besonders häufig nach Länderspielpausen oder vor wichtigen Saisonphasen.
Trefferquoten der verschiedenen Modelle
Aktuelle Studien zeigen beeindruckende Ergebnisse bei der Vorhersagegenauigkeit:
| Modelltyp | Trefferquote | Vorhersagezeitraum |
|---|---|---|
| Klassisches Phi-Modell (KIT) | 78% | Retrospektiv |
| Random Forest Algorithmus | 86% | 2-3 Spieltage |
| Neuronales Netzwerk | 91% | 1-2 Spieltage |
| Ensemble-Modell mit NLP | 94% | 3-5 Spieltage |
Die höchsten Trefferquoten erzielen sogenannte Ensemble-Modelle, die mehrere KI-Ansätze kombinieren und zusätzlich Sentiment-Daten aus der Medienberichterstattung einbeziehen.
Praktische Anwendung: Frühwarnsystem für Vereine
Aus den Forschungsergebnissen lässt sich ein Frühwarnsystem entwickeln, das Vereinen hilft, kritische Situationen frühzeitig zu erkennen. Das Karlsruher Team arbeitet bereits mit dem Research Lab der TSG Hoffenheim zusammen.
Ein solches System könnte verschiedene Warnstufen definieren:
Grün (0-30% Wahrscheinlichkeit): Stabile Situation, keine Handlung erforderlich.
Gelb (30-60% Wahrscheinlichkeit): Erhöhte Aufmerksamkeit, mögliche Krisenkommunikation vorbereiten.
Orange (60-80% Wahrscheinlichkeit): Kritische Phase, interne Gespräche und Analyse der Optionen.
Rot (80-100% Wahrscheinlichkeit): Akute Krise, Entscheidung steht unmittelbar bevor.
Die Grenzen der Vorhersage
Trotz beeindruckender Trefferquoten stoßen auch KI-Modelle an ihre Grenzen. Unvorhersehbare Ereignisse wie schwere Verletzungen von Schlüsselspielern, persönliche Skandale oder plötzliche Eigentümerwechsel können die Berechnungen durcheinanderbringen.
Zudem gilt die Vorhersage nur, solange Vereine weiterhin nach bekannten Mustern handeln. Sollten Clubs ihr Verhalten grundlegend ändern – etwa durch längerfristige Verträge oder eine veränderte Fehlerkultur – müssten die Modelle entsprechend angepasst werden.
Fazit: Fußball wird berechenbarer
Die Kombination aus mathematischen Modellen wie dem Phi-Ansatz des KIT und modernen KI-Algorithmen zeigt: Trainer-Entlassungen im Profifußball folgen erkennbaren Mustern. Die Entscheidungen der Vereinsvorstände sind weniger emotional und spontan, als es oft den Anschein hat.
Für Fans bedeutet das: Wenn die Niederlagen sich häufen und das Momentum kippt, lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit vorhersagen, wann der Trainerstuhl wackelt. Die Zahlen lügen nicht – und die KI rechnet schneller als jeder Experte.